Sonntag, 14. März 2010

Charshanbesuri, eine Jahrtausende alte Tradition


Charshanbesuri oder Chahar Shanbe Suri (gesprochen: Tschar-Schanbe Suri) ist der letzte Dienstag des Jahres im iranischen Kalender. Ein Tag, der die große Kluft zwischen der Bevölkerung und der Regierung deutlich macht.

Ursprung und Bedeutung

Das persische Neujahr, Nowruz, ist der wichtigste Feiertag im Iran. Nowruz bedeutet "der neue Tag" und bezeichnet den Frühlingsanfang. Am 23. Februar 2010 erkannte die UN den  21. März als internationalen Nowruz-Tag mit iranischem Ursprung an. Der Frühlingsanfang wird sekundengenau von Astronomen vorhergesagt, damit die Iraner sekundengenau dieses Fest feiern können. Dieses Jahr ist Nowruz am 20. März um 21:02:13 im Iran, oder 18:32:13 in Deutschland.

Charshnabesuri bedeutet Roter Mittwoch und wird in der Nacht zuvor gefeiert. Diese beiden Tage haben aber keinen islamischen Ursprung. Nach der islamischen Revolution gab es immer wieder Versuche, diesen Tag nicht mehr als Feiertag anzuerkennen und ihn sogar durch den Siegestag der Revolution 1979 zu ersetzen. Beispielsweise bezeichnete Ajatollah Motahhari Nowruz als "anti-islamischen Tag" und den Charshanbesuri als "Tag der Idioten".

Diese Festtage finden ihren Ursprung in der zaroastrischen Religion nach den Lehren Zarathustras. Charshanbesuri ist der Tag, an dem man den Sieg des Lichts über die Dunkelheit feiert. Man geht auf die Straßen, macht Lagerfeuer, und springt über das Feuer.

Charshanbesuri in den letzten Jahren und meine Erfahrungen

Kurz vor Charshanbesuri gab es immer Warnungen des Staats über die Gefahren des Feuers. Gerechtfertigt, kann man sagen. Tatsächlich gab es immer wieder Schwerverletzte.

Wenn aber an diesem Tag die Polizei oder Bassij zu uns Feiernden kam, sagten sie: "geht nach Hause, versammelt euch nicht". Der Staat hat immer gewusst, wie gefährlich dieser Tag werden kann, sagte es aber bis zu diesem Jahr nicht in der Öffentlichkeit. An diesem Tag läuft überall in den Autos illegale Musik. Frauen und Männer tanzen. Kommt ein verdächtigtes Auto mit bärtigen Männer, flieht die Menge in die Nachbarhäuser. An so einem Tag ist es normal, kurz verhaftet zu werden.

Die grüne Bewegung und eine neue Erfahrung

Nach 22 Bahman will die grüne Bewegung nicht mehr die Feiertage der islamischen Republik nutzen, um auf die Straße zu gehen, sondern ihre eigenen Feiertage. Ihre eigene Geschichte, mit der die Menschen sich viel besser identifizieren können. Charshanbesuri war für mich immer ein gefährlicher Tag. Ein Tag, an dem ich verletzt und verhaftet werden könnte. Ich habe mich aber immer auf diesen Tag gefreut, weil ich mich frei fühlte und mit dem ganzen Land feiern konnte. Ich habe aber auch mehrmals erlebt, dass die Polizei heimlich mit uns feierte. Euphorisch haben wir diesen Tag an anderen Tagen kurz nach Charshanbesuri wiederholt.

Die grüne Bewegung hat ihre Pläne für diesen Tag. Die Regierung droht mit Härte das Volk niederzuschlagen. Spielt die Regierung mit Feuer? Siegt an diesem Tag vielleicht das Licht über die Dunkelheit?

Vergleichbare Artikel auf anderen Seiten:
1. Oberster Führer verurteilt iranisches Feuerfest
2. The Red Wednesday, a fire-connected festivity!



Videos und Fotos von Charshanbesuri werden auf dieser Seite veröffentlicht. Es kann auch gut sein, dass der Tag ein bisschen früher anfängt. Vielleicht sogar heute Nacht.

9 Kommentare:

  1. Aus meiner laienhaften dilettantischen [deutschen, doch demonstrationserfahrenen] Sicht würde ich politisch-demonstrative Aktivitäten in einem politisch aufgeladenen repressiv-gewalttätig-schussbereiten Iran, das in dieser Nacht (!) mit jeder Menge von Knall-, Explosivkörpern, Raketen und Feur hantiert, für [absolut] nicht angebracht halten. Einen Tag später kann allen möglichen Leuten alles Mögliche mit allen möglichen [diesmal völlig unüberprüfbaren] Gründen vorgeworfen werden. Wie will man was dann als Demokrat Leuten innerhalb als auch außerhalb Irans erklären, belegen, beweisen ?
    [Oh Gott!]
    Ein Nichtstattfinden von demokratisch-politischen Aktivitäten wird jeder Interessierte und Grünen-Unterstützer im Ausland absolut nicht als Schwäche, sondern definitiv als ein Minimum an politisch-taktischer Vernunft und Reife werten.

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  2. Gute Frage.
    Eine vorgeschlagene Strategie ist, dass man auf Explosionskörpern an diesem Tag verzichtet. Es geht darum, dass die Tradition nicht verloren geht. Tanzen ist dann der aktive Protest. Und diese Protestform findet überall statt. Das wird als Übung in die neue Protestfrom gesehen.

    Um alles unter Kontrolle zu kriegen, sollen prominente Persönlichkeiten mit den Leuten sprechen.

    Vielleicht werde ich heute kluger, wie alles geplant ist.
    Danke

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  3. Vielen Dank für die Darstellung möglicher Protestformen (Verzicht auf Explosionskörper; Tanzen), die sich vernünftig und vertretbar anhören. Um die ganze Sache beurteilen zu können, muss man Iraner oder eine gründlicher Kenner Irans sein.

    [Ich als Skeptiker in dieser Sache hätte allerdings Befürchtungen, dass im Dunkeln und bei angeblichen Böllerexplosionen alles möglich ist, jeder mögliche beschuldigt werden kann ohne den Gegenbeweis antreten zu können, Gewehrschüsse können fallen, eine sinnvolle (Handy)-Film-Dokumentation (so wie bislang bei jeder Aktion immer möglich und als Beweismittel vorliegend) im Dunkeln ist für mich schwer vorstellbar; vielleicht muss man ja auch gar nicht auf jedes einzelne Verbot eines Regimes reagieren?]

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  4. Den Grund Ihrer Sorgen verstehe ich ja. Ich bin auch sehr besorgt.

    Sie schreiben, dass man nicht immer reagieren muss. Muss man nicht. Momentan aber drohen Gefangenen Todesstrafe. Viele sitzen in Gefängnissen und werden gefoltert. Die Geschichte der islamischen Republik zeigt, dass wenn man still bleibt, Regime mehr Härte zeigt. Das lesen Sie auch bestimmt in Reden Shirin Ebadis und andere Menschenrechtler.

    Es wird auch diskutiert, ob man dieses Jahr gar nichts tut. Ich glaube aber, dieser Vorschlag hat keine Chance. Es wird heiß diskutiert.

    Um uns zu beruhigen, kann ich sagen, dass diese Gefahren vielen bewusst ist. Ich hoffe, dass alle vernünftig denken können.

    Welche Idee sich durchgesetzt hat kann ich leider noch nicht sagen. Die Idee kann sich mit einem Vorschlag von Mousavi, Karroubi, Rahnavard, Ebadi oder Sazgara ändern.

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  5. Ich habe es:
    Sazgaras tägliche Video-Botschaft von heute: Nicht an die Plätze gehen wo man bisher hingegangen ist, weil die Regierungskräfte präsent sind. Wegen Khameneis Botschaft solle man auf keinem Fall auf diese Tradition verzichten. Das Feiern soll traditionell statt finden (also ohne Explosionskörper).

    (es leuchtet mir gerade ein, wie konnte ich es vergessen, folgendes zu erwähnen?)
    Rahnavrad hatte neulich gesagt, die grüne Bewegung kann an diesem Tag der Freude auch an ihre Märtyrer denken. Rahnavard hat bestimmt darüber mit Mousavi, und Mousavi mit Karroubi gesprochen. Sie wollten aber selber nichts darüber sagen, denke ich. Rahnavard hat aber auch in ihrem Botschaft Bassij und Sepah gesagt, was sie tun sollen: Statt Knüppel sollen sie ihre Schwester und Brüder Blumen schenken und sich mit der Bevölkerung versöhnen. Das Volk werde nach seinem Sieg Bassijis nichts antun.

    Zur Ihrer und meiner Beruhigung: Auf wirklich ALLEN Blogs die ich anschauen konnte heiß es: Verzichten auf Gewalt.

    Dieser Satz von Rahnavard wird oft zitiert: "Die grüne Bewegung, ist eine Bewegung der Freude und Friede uns sie werde keine Gewalt zeigen. Also, seid euch bewusst, dass jeder Gewalttat kommt von der Regierung"

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  6. Sehr geehrter Dust and Trash,

    ganz, ganz herzlichen Dank für Ihre nachvollziehbaren, sinnvollen und klärenden Erläuterungen !!

    [[natürlich wollte ich keinesfalls sagen, dass von der demokratischen "grünen" Seite Gewalt gezeigt würde,
    sondern dass
    von Regierungsseite Gewalt
    (Schusswaffenlärm=Explosionskörper-lärm)
    ausgeübt wird,
    dass die - wie auch immer - Demonstrierenden beschuldigt werden,
    dass ein Sichverteidigenmüssen von Sicherheitskräften argumentativ ins Feld geführt wird,

    dass jedoch ein Gegenbeweis wegen der Umstände (
    Dunkelheit, einige/etliche Normalbürger mit Raketen und Feuerwerken)
    natürlich nicht möglich ist
    gegenüber den nichtdemonstrierenden Inland-Iran-Sympathisanten-Bevölkerungsteilen
    sowie auch gegenüber den Ausland-Iranischen/Nichtiranischen Sympathisanten)
    Entschuldigen Sie bitte meine auf die Nerven gehenden Bedenken]]

    Beste Grüße und Wünsche

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  7. Ihre Bedenken gehen mir nicht auf die Nerven, vielmehr freut es mich, dass Sie Ihre Gedanken äußern. Diese Gedanken können mir und eventuell die Bewegung auch helfen.

    Was den Iraner betrifft, vertraut keine mehr das Regime.

    Der Wut der Bevölkerung kann auch zu einer schnelleren Eskalation führen. Aber: "etliche Normalbürger" gibt es leider nicht mehr. Das Land ist so sehr politisiert, dass die unpolitischste Menschen die ich kenne, fast nur über Politik sprechen. Ich sage auch leider, aber notwendigerweise ist die Lage so.

    Nur: Im Ausnahmezustand war das Land immer an diesem Tag. Jemand wie Rahnavard kann sich nicht erlauben zu sagen: Leute, vergisst dieses Jahr diese Tradition.

    Anderseits wird dieses Fest überall gemacht: innerhalb und außerhalb der Städte. Man kann per Telefon seine Freunde sagen, wo keine Sicherheitskräfte sind. Dann geht man dorthin, mit Familie. Wir haben es jahrelang so gemacht. So einen Tag kann man in Deutschland sich nicht vorstellen. Man fährt so lange hin und her, bis man einen sicheren Ort findet.

    Ich gebe Ihnen recht: es ist trotzdem gefährlich. Es war aber auch schon immer gefährlich.

    Außerdem: Es geht dazu auch um das Überleben einer Kultur. Wenn jemand sagen würde, geht nicht auf die Straße, würde keine zuhören. Am besten einigt man sich, wie man es feiert. Sicherheitskräfte können nicht überall sein. Das konnte eine Eskalation verhindern.

    Auch wenn ich es nicht garantieren kann, denke ich, dass dies die beste mögliche Lösung ist. Hoffen wir, dass das Beste gut genug ist.

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  8. Herzlichsten Dank für Ihre geduldige Reaktion auf die Mühen, die ich Ihnen
    bereitet habe. - In der Tat, man kann sich diesen Tag als Deutscher schlecht vorstellen; vermutlich vergleichbar einem bundesweiten nächtlichen Karnevalsfest (normalerweise nur in katholischen Gegenden gefeiert); in der Tat dürfte niemand, der seine Sinne beisammen hat, den "Karnevalsjecken" in den Karnevalshochburgen erzählen, sie dürften nicht feiern.
    Man lernt nicht aus!

    Danke und tschüsfür heute!

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